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Mehr Engagement und Verantwortung gleich mehr Militär? Ein Kommentar

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Man hat in diesen Tagen das Gefühl, es bewegt sich etwas in der außen- und sicherheitspolitischen Agenda der Bundesrepublik Deutschland. Außenpolitik findet in Berlin wieder statt. Und man redet darüber, diskutiert, applaudiert. Eine offen geführte Debatte über deutsche Verantwortung und deutsche Interessen auf dem Feld der internationalen Politik scheint  – vielleicht zum ersten Mal seit den 1990er Jahren – in Gang zu kommen. Die neue Regierung hat Fahrt aufgenommen und betont überaus offensiv und in breiter Front ihren Willen, eine Positionierung, eine Emanzipation, einen Kurswechsel in der deutschen Außenpolitik hin zu mehr Haltung, mehr Engagement und mehr Verlässlichkeit zu etablieren. Der Bundespräsident, Parlamentarierkreise, Militärs, Fachleute, Wissenschaftler, Teile der Presse und sogar Kommentatoren aus dem Ausland stimmen ein in den neuen außenpolitischen Reigen. Ohne uns! soll in der deutschen Außenpolitik vorbei sein.

Gleichgültigkeit sei keine Option für Deutschland, postulierte Verteidigungsministerin von der Leyen jüngst. Deutschland müsse bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen, forderten im beinahe identischen Wortlaut Außenminister Steinmeier und Bundespräsident Gauck auf der 50. Münchner Sicherheitskonferenz. Man dürfe sich nicht länger hinter einer Grundhaltung nach dem Motto “Wir sind erst mal nicht dabei, und dann schauen wir, was andere machen” verstecken, brachte Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, in einem Interview mit der Zeit seine Idee von deutscher Außenpolitik zum Ausdruck. “Unsere Interessen, unsere Verantwortung und die Erwartungen an uns liegen in einem stärkeren Engagement. Wenn das so ist, muss die Politik es auch sagen und der Bevölkerung gegenüber begründen.” In diesem Ton leitete auch die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ihr jüngstes Strategiepapier zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ein, indem die Erkenntnis dargebracht wurde, Deutschland habe heutigentags mehr Macht und Einfluss als jedes demokratische Deutschland vor ihm, müsse aber auch der damit gewachsenen, neuen Verantwortung für das Funktionieren der internationalen Ordnung gerecht werden.

Doch was bedeutet das, für deutsche Interessen eintreten, mehr Verantwortung übernehmen, sich stärker einbringen, vielleicht sogar Führungstärke in der internationalen Krisenbewältigung beweisen? An dieser Stelle wird die öffentliche Diskussion oft einseitig. Das Militär und Auslandseinsätze werden überproportional häufig als Synonyme für ein stärkeres deutsches Engagement genannt. Indirekt schwingen in der überaus pazifistisch geprägten deutschen Gesellschaft damit der Grundzweifel am Einsatz militärischer Gewalt und die Furcht vor Tod, Verwundung und Zerstörung mit. Dieser Pazifismus und dieser Grundzweifel sind vor dem Hintergrund unserer Geschichte und unserer formulierten Werte richtige und berechtigte Emotionen. Sie treffen allerdings nicht den Kern der eigentlichen außen- und sicherheitspolitischen Diskussion.

Die Instrumentarien, die der Außen- und Sicherheitspolitik zur Verfügung stehen, sind mindestens so facettenreich wie das aktuelle Bedrohungspotential in unserer Welt. Finanz- und Wirtschaftspolitik, Diplomatie, Entwicklungshilfe, humanitäre Hilfeleistungen, Polizeiarbeit oder Kooperation der Geheimdienste sind nur einige übergeordnete Themen, in denen Deutschland mehr Verantwortung übernehmen kann. Militärische Gewalt sollte gemäß unseres Prinzips des Primat der Politik stets am Ende dieser Maßnahmen stehen. Sie sollte dennoch als eine Maßnahme anerkannt werden. Ein ausgewogenes, gesamtstaatliches Neben- und Miteinander von politischen, zivilen, polizeilichen und militärischen Instrumenten gilt es zu erarbeiten. Der Begriff der vernetzten Sicherheit ist kein neuer – es gilt ihn zu reaktivieren und endlich mit Substanz und Leben zu befüllen. Ressorts müssen besser vernetzt und Strategien kohärent ausformuliert werden. Militärische Gewalt ist in diesem Zusammenhang auch ein Mittel, das von der Bundeswehr zur Verfügung gestellt wird, aber sie ist lediglich ein Mittel unter vielen, und ferner das Mittel der ultima ratio, das mit besonders hohen moralischen und politischen Hürden und Ansprüchen versehen ist.

Mehr Engagement ist nicht gleich mehr Militäreinsatz. Deutschland kann und wird nicht den starken Mann markieren, sich interventionistisch oder gar militaristisch geben. Das will unsere Gesellschaft nicht; und das vermag die Bundeswehr im Übrigen auch nicht zu leisten. Es gilt, im Zuge eines vernetzten, gesamtstaatlichen Ansatzes, offen über deutsche Interessen, Ziele und Strategien zu diskutieren, und zwar sowohl aus der genuin deutschen Perspektive heraus als auch eingebettet im internationalen Rahmen von EU, NATO und VN. Diese Interessen müssen thematisch auf mehrere Bereiche fokussiert sein, beispielsweise auf den geographischen Raum (Afrika, Nachbarschaft der EU/NATO), auf den wirtschaftlichen Nutzen (Märkte, Handelswege, Rohstoffe) oder auf die Wertebezogenheit (humanitäre Hilfe, Verhindern von Genozid, nation-building) und an ihrem Ende das Produkt Sicherheit hervorbringen. Deutschland war jahrzehntelang Konsument von Sicherheit; heutzutage müssen wir mit unseren Partnern Produzent von Sicherheit in der internationalen Ordnung sein.

Die Aufgabe der Regierung wird es künftig sein, die nun lancierte Debatte in politische Prozesse und konkrete Projekte umzulenken. Die Erarbeitung eines Weißbuches, etwa nach französischem Vorbild, könnte zielführend sein. Der ressortübergreifende Dialog und daraus resultierend eine vernetzte Zusammenarbeit muss institutionell festgeschrieben werden. In diesem Zusammenhang müsste die Kanzlerin deutlicher auftreten. Das Thema Krisen, Konflikte und Einsätze könnte im parlamentarischen Prozess, etwa durch die Schaffung eines Ausschusses oder eines speziellen Beauftragen mehr Wertigkeit gewinnen. Die Parlamentsbeteiligung müsste mit Bedacht und Vorsicht flexibler gestaltet werden. Speziell die deutsch-französischen, aber auch die deutsch-britischen oder deutsch-polnischen Beziehungen müssen wieder deutlicher verbessert werden. Für kleinere Nationen sollte man bei pooling and sharing oder smart defence als Rahmennation auftreten. Die Bundeswehr muss weiter in Richtung Einsatzarmee ausgestattet und ausgebildet werden; ihr müssen dazu die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Im Rahmen von EU, NATO und VN muss man als verlässlicher Partner Vertrauen zurückgewinnen. Auf dem diplomatischen Parkett kann man das traditionell hohe Ansehen nutzen und Initiativen präsentieren, etwa im Hinblick auf den Nahen Osten oder Ukraine/Russland. Und nicht zuletzt müssen nach innen gerichtet die eigene Bevölkerung, die Öffentlichkeit und die Medien mitgenommen und besser über deutsche Außenpolitik und Strategie informiert werden, etwa durch regelmäßig verfasste Berichte oder Regierungserklärungen zur Sicherheitslage Deutschlands und der verbündeten Nationen. Außen- und Sicherheitspolitik wäre als gesamtgesellschaftliches Projekt zu betonen. Im letzten Wahlkampf hat dieser Themenkomplex beinahe keine Rolle gespielt. Bis zum nächsten Wahlkampf wäre hier eine Interessenverlagerung in der öffentlichen Wahrnehmung überaus wünschens- und erstrebenswert. Sind deutsche Interessen erst einmal im Rahmen eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses skizziert, so sollte es möglich sein, sie mit Augenmaß, aber auch Bestimmtheit gemeinsam mit unseren Partnern nach außen zu vertreten.


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